Hallo da draußen

Echse ohne Beine: Die Blindschleiche

„Die Blindschleiche wird, falsch erkannt, als kleine Schlange oft benannt.”
(Aus: Die Blindschleiche)
© Helmut A. Petzold (*1932), deutscher Dichter

Oft wird sie mit einer Schlange verwechselt, weil sie keine Beine hat. Ihr Name führt ebenfalls oft in die Irre, denn sie ist ganz und gar nicht blind. Hiermit stelle ich das Reptil des Jahres 2017 vor: die Blindschleiche.

Systematik

Erblickt man zum ersten Mal eine Blindschleiche, denkt man sofort an eine Schlange. Dieser Gedanke ist nicht ganz abwegig, da man es mit einem schlangenähnlichen Tier zu tun hat. Doch in Wirklichkeit ist die Blindschleiche näher mit Eidechsen als mit Schlangen verwandt.

Der wissenschaftliche Name der Blindschleiche lautet „Anguis fragilis”. „Anguis” ist das lateinische Wort für „Schlange“ und deutet auf die scheinbare Ähnlichkeit zur Schlange hin. Die Artbezeichnung „fragilis” heißt „zerbrechlich” und meint damit die Fähigkeit der Blindschleichen – wie auch bei Eidechsen – ihren Schwanz bei Gefahr abwerfen zu können.


Blindschleiche
Blindschleiche von oben

Blindschleichen werden der Familie der Schleichen (Anguidae) zugeordnet, die wiederrum zum Taxon der Echsen (Lacertilia) gehören.

Traditionell wird die Blindschleiche in mehrere Unterarten unterteilt. In Deutschland vorkommende Blindschleichen werden als Westliche Blindschleiche (Anguis fragilis fragilis) bezeichnet. Sie ist über weite Teile Westeuropas verbreitet.

In Osteuropa kommt die Östliche Blindschleiche (Anguis fragilis colchica) vor. Wobei der Übergang zwischen der west- und osteuropäischen Art fließend ist. Eine mögliche geographische Art-Grenze wird in Ungarn vermutet. Östliche Blindschleichen unterscheiden sich von der Westlichen Blindschleiche dadurch, dass blau getüpfelte Exemplare wesentlich häufiger anzutreffen sind.

In Griechenland auf Peleponnes und den Ionischen Inseln gibt es eine weitere Blindschleichen-Art: die Peleponnes-Blindschleiche (Anguis cephallonica). Ihr eindeutiges Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Blindschleichen-Arten ist ein Zackenmuster, das am Nacken von der dunkelbraunen Seitenlinie ausgeht. Die Zackenspitzen weisen leicht nach hinten.

Dies ist nur ein grober Überblick der Blindschleichen-Arten (Stand: Juli 2017). Es gibt mittlerweile weitere Vorschläge zur Unterscheidung und Teilung der einzelnen Arten. Unter diesem Link findet man einen kurzen englischsprachigen Abstrakt über die Genetik der Blindschleichen und die daraus resultierenden möglichen Arten.

Anatomie

Blindschleichen und Schlangen sind Wirbeltiere. Sie haben einen länglichen Körperbau und bewegen sich ohne die Hilfe von Gliedmaßen fort. Ab hier hören dann aber die Gemeinsamkeiten auf.

Vergleicht man das Skelett einer Blindschleiche mit einer Schlange, erkennt man die Unterschiede sofort. Bei Blindschleichen sind noch Reste des Becken- und Schulterknochen zu sehen. Bei echten Schlangen sind diese nicht mehr vorhanden.

Beim Vergleich zwischen einem Schlangen-Schädel und einem Blindschleichen-Schädel fallen ebenfalls Unterschiede auf. Blindschleichen haben einen Schädel, der aus fest miteinander verwachsenen Knochen besteht. Der Schädel der Schlangen besteht dagegen aus Knochen mit einzelnen Bändern. Sie sind dadurch wesentlich elastischer und können ihre Kiefer sehr weit öffnen. Dies erlaubt ihnen, Beute zu fressen, die viel größer sind als sie selbst. Diese Fähigkeit haben Blindschleichen nicht.


Blindschleiche Schwanz
Abgestoßendes Schwanzende

Blindschleichen haben, wie ihre Verwandten die Eidechsen, ebenfalls am Körper eine Sollbruchstelle am Schwanzansatz. Damit können sie ihren Schwanz abwerfen. Diese Fähigkeit wird als Autotomie bezeichnet.

Neben Eidechsen, gibt es auch Insekten, Spinnentiere, Schnecken, Seesterne, Seegurken und sogar zwei Stachelmausarten, die diese Fähigkeit haben. Je nach Tiergruppe wächst das abgeworfene Körperteil danach vollständig, teilweise oder gar nicht nach.

Der abgeworfene Schwanz der Blindschleiche bewegt sich noch eine Zeit lang, so dass Fressfeinde davon abgelenkt werden. Dadurch hat die Blindschleiche Zeit, sich vor den Fressfeinen in ein sicheres Versteck zu flüchten.

Schlange oder Schleiche?

Natürlich kann man nicht in den Körper einer lebendigen Schlange oder Blindschleiche hineinschauen, um die anatomischen Unterschiede zu erkennen. Wie erkennt man also in freier Natur so ein Tier?

Beobachtet man das Schlängeln einer Blindschleiche, fällt die eher steife und langsame Bewegung auf. Schlangen kriechen weitaus eleganter und fließender auf dem Boden.


Blindschleiche Augen
Kopf einer Blindschleiche

Der „Hartwurm“, wie die Blindschleiche früher auch genannt wurde, besitzt unter dem Schuppenkleid seines Körpers kleine, starre Knochenplättchen, wodurch sich Blindschleichen viel steifer fortbewegen als Schlangen.

Hat das Tier gezüngelt? Auch hier kann man Schlangen von Blindschleichen unterscheiden. Blindschleichen müssen ihren Mund öffnen, weil ihnen die schlangentypische Oberlippenlücke fehlt. Ist folglich der Mund beim Züngeln auf, ist es eine Blindschleiche.


Blindschleiche züngeln
Blindschleiche beim Züngeln

Auch können sie im Gegensatz zu Schlangen hören. Allerdings ist ein „Ohr“ bei der einheimischen Blindschleiche nicht zu erkennen, weil ihre Ohrenöffnungen von Schuppen bedeckt sind.

Warum ist die Blindschleiche „blind”?

Natürlich ist die Blindschleiche nicht blind. Das Wort „blind“ ist eine Ableitung des althochdeutschen Wortes „Plint“, das „blendend“ bedeutet. Das Wort bezieht sich auf den glänzenden Körper des Tieres.


Blindschleiche Körper
Blindschleiche

Sie besitzt zwei Augen mit beweglichen Augenlider, die sie auch schließen können. Ein Merkmal, das Schlangen nicht haben. Schlangen besitzen keine Augenlider, sondern sie sind jeweils von einer durchsichtigen Schuppe bedeckt. Sollte euch also eine „Schlange“ anblinzeln, ist es eine Blindschleiche.

Die Augen der Blindschleiche haben eine runde schwarze Pupille, die von einer kupferroten Iris umgeben ist. Doch die Augen sind recht klein, daher ist es recht schwierig diese genauer zu beobachten.

Körperbau und -merkmale

Die Blindschleiche besitzt einen langgestreckten, im Querschnitt kreisrunden Körper. Beine besitzen Blindschleichen nicht mehr, da sie sich im Laufe der Evolution zurückgebildet haben. Sie kann eine Körperlänge von 30 cm bis maximal 50 cm erreichen. Wenige Individuen erreichen sogar eine Körperlänge bis zu 55 cm.

Der Bauch und die Körperseite sind meist dunkelgraubraun bis gelbbraun gefärbt, so dass sich die silbergraue bis goldgelbe Oberseite deutlich davon abgesetzt. An den Flanken finden sich bei allen Tieren generell mehrere dunkle Längsstreifen, die oft miteinander verschmolzen sind und so einen einheitlichen Streifen bilden. Bei einigen Individuen taucht hin und wieder eine auffällige blaue Flecken auf.

Auf dem Rücken verläuft eine dunkel abgesetzte, durchgehende Linie, die bis zum Schwanzende reicht. Am Kopf endet diese Linie zu einem dicken, runden dunklen Fleck. Bei erwachsenen Weibchen ist die Linie deutlicher zu sehen als bei ihren männlichen Artgenossen.


Blindschleiche
Ein Exemplar mit deutlich erkennbaren dunklen Streifen auf dem Rücken

Die Bauchseite ist oft schwarzgrau gefärbt und geht zu den Seiten in einen helleren Grauton über. In seltenen Fällen kann die Unterseite auch intensiv schwarz gefärbt sein. Die Unterseite des Schwanzes ist oft heller als der restliche Körper und meist gräulich gefärbt.

Lebensraum

Die Blindschleiche ist die häufigste Echsenart in Deutschland, da ihr Lebensraum sehr vielfältig ist. Sie fühlt sich sowohl in Waldlichtungen und Waldrändern wohl, als auch in offenen Heide- und Moorlandschaften. Auch in Gärten, Parks, Steinbrüchen, Hecken und Trockenrasen findet sie ein Zuhause. Wichtig ist, dass sie reichlich Plätze zum Sonnen; als auch zum Verstecken hat.


Blindschleiche Versteck
Na, was versteckt sich hier?

Sonnenplätze können z.B. Totholz, Torf, offener Humusboden oder Steinplatten sein. Als Versteckmöglichkeiten werden gerne Baumwurzel, Baumstubben, Steine oder auch Laubhaufen bevorzugt.

Nahrung

Blindschleichen ernähren sich bevorzugt von Schnecken, Würmern sowie Insekten, Asseln und Spinnen. Sie schlängeln sich durch das Gras, um aktiv auf Nahrungssuche zu gehen. Ihr guter Geruchssinn hilft ihr bei der Jagd.

Fortpflanzung

Obwohl Blindschleichen zu den Echsen gehören und daher eigentlich Eier legen sollten, bringen sie lebendige Jungen zur Welt. Sie sind folglich lebendgebärend. Genauer gesagt, sind Blindschleichen „Ei-lebendgebärend” („ovovivipar”). Hierbei werden die Eier im Körper des Muttertieres ausgebrütet. Die ausgebrüteten Jungtiere werden dann „geboren”.

Die Paarungszeit findet zwischen Ende April und Juni statt. Die Tragzeit ist von der Temperatur abhängig und dauert 12 – 13 Wochen. Nach 12 bis 13 Wochen gebären die Weibchen im Durchschnitt 10 vollständig entwickelte Jungtiere. Diese sind bei der Geburt 7 bis 10 Zentimeter lang und wiegen weniger als 1 Gramm. Nach der Geburt sind die Jungtiere auf sich alleine gestellt.

Nach 3 Jahren erreichen die Männchen die Geschlechtsreife und die Weibchen nach 4 bis 5 Jahren.

Lebenserwartung

Blindschleichen können sehr alt werden. Aus der Terrarienhaltung sind Angaben von einem Alter von 20 – 40 Jahren bekannt. Auch ist ein Alter von knapp 50 Jahren bekannt. In freier Wildbahn sterben sie deutlich früher, denn da werden sie von ihren natürlichen Feinden gefressen oder fallen einem Auto oder Fahrrad zum Opfer.

Feinde der Blindschleiche

Bei den Säugetieren sind Füchse, Marder, Dachse, Hermeline, Igeln oder auch Katzen die Fressfeinde der Blindschleichen. Außerdem gehören sie zum Beutespektrum von einigen Greifvogelarten, wie z.B. der Mäusebussard oder der Turmfalke.

Der größte Feind der Blindschleiche ist allerdings der Mensch. Durch intensive Land- und Forstwirtschaft wurde ihr Lebensraum in der vergangenen Zeit sehr stark eingeschränkt. Aber auch der Straßen- und Siedlungsbau bedrohen die Lebensräume der Blindschleiche. Zudem werden sie durch den direkten Einsatz von Schneckengift oder Pestiziden getötet.

Das Blindschleichen sich gerne auf Straßen oder unbefestigten Nebenstraßen aufhalten, um ein Sonnenbad zu genießen, werden sie häufig von Auto- aber auch Fahrradfahrern überfahren.

Reptil des Jahres 2017

Die DGHT hat für das Jahr 2017 die Blindschleiche zum Reptil des Jahres gewählt. Die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Herpetologie und Terrarienkunde.

Die Wahl zum Reptil des Jahres soll dabei helfen, nicht nur über das Tier aufzuklären, sondern auch etwas für den Schutz dieser Tiere zu tun.

Bundesweit ist die Blindschleiche als „ungefährdet” verzeichnet, die ihr Bestand in Deutschland als scheinbar häufig angesehen wird. Jedoch ist diese Aussage trügerisch, weil keine oder kaum Daten zur Bestandsentwicklung der Blindschleiche vorliegen. Daher sollte einer der grundlegenden Schutzmaßnahmen sein, z. B. die Aufforstung natürlicher Wälder zu fördern, von denen auch weitere Reptilienarten wie z. B. die Kreuzotter (Vipera nerux) oder die Waldeidechse (Zootoca vivipara) profitieren können.

Was kann ich für die Blindschleiche tun?

Du hast einen Garten? Prima, dann kannst du auch etwas für die Blindschleiche tun!

  • Errichte in deinem Garten einen Holzstapel, lege eine Trockenmauer oder einen Komposthaufen an. Das sind gute Tagesunterschlupfe für die Blindschleiche.

  • Ein Heuhaufen kann ebenfalls ein Unterschlupf sein. Das gemähte oder geschnittene Gras einfach auf dem Boden liegen und trocknen lassen. Ist das Gras getrocknet, kann man es zu einem Heuhaufen auftürmen. Dieser wird dann mit einer Plane abgedeckt, damit er vom Regen nicht feucht wird. Der fertige Heuhaufen dient dann ebenfalls als Unterschlupf.

  • Blindschleichen haben Durst. Stelle daher im Garten ausreichend Wasser zur Verfügung. Das kann eine einfache Wasserstelle sein oder ein selbst angelegter Teich.

Für alle, die keinen Garten besitzen (ich gehöre dazu), aber dennoch etwas für Blindschleichen tun wollen:

  • Schätze dich glücklich, bei einem Spaziergang oder einer Wanderung einer Blindschleiche zu begegnen. Meist lässt sich das Tier aus nächster Nähe beobachten und man kann ganz tolle Fotos von ihr machen.

  • Wie alle Reptilien in Deutschland, ist auch die Blindschleiche geschützt und darf nicht ohne Genehmigung eingefangen werden. Sollte man aber ein Tier fangen müssen, um z. B. die Blindschleiche vor dem Überfahren auf der Straße zu retten, packt man das Tier nie am Schwanzbereich (Schwanzabwurf!!!), sondern nur im vorderen Bereich.

  • Engagiere dich in einem lokalen Naturschutzverein.

Quellen und lesenswerte Links

Willst du noch mehr über die Echse ohne Beine wissen? Dann schaue dir doch folgende Links mal an:

Die Links wurde zuletzt am 22.11.2022 abgerufen.


Bist du schon einmal einer Blindschleiche begegnet? Findest du die Auszeichnung „Reptil des Jahres” sinnvoll? 

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