Das älteste Körperfossil Deutschlands: Xenusion auerswaldae
„Der Zufall, so oft der freundliche und reichen Erfolg bringende Helfer der Palaeontologen, kann uns hie und da auch einmal eine recht harte Nuß zum Knacken bieten.“
Einleitungsworte zur Erstschreibung von Xenusion auerswaldae im Artikel „Ein neues Zeugnis uralten Lebens”
© Joseph Felix Pompeckj (1867 – 1930), Geologe und Paläontologie
Sehr selten und dennoch unter Sammlern und Kennern von sedimentären Geschieben bekannt. Gemeint ist das Fossil Xenusion auerswaldae.
Derzeit sind nur vier Funde bekannt (Stand Februar 2024), davon gilt leider ein Fund bisher als verschollen.
In diesem Artikel stelle ich dir das besondere Geschiebe-Fossil vor.
Inhaltsverzeichnis
Namensgebung
Bisher wurde das Fossil Xenusion nur im Geschiebe in Deutschland gefunden, genauer gesagt im Kalmarsund-Sandstein. Der Ursprungsort des Sandsteins ist der namensgebende Kalmarsund, eine Meerenge zwischen Schweden und der Insel Öland. Er lagert dort auf einer alten Strandterrasse auf, die flach zur Meerenge einfällt. Anstehend findet man das Gestein auf dem südostschwedischen Festland, das etwa einem fünf bis zehn Kilometer breiten Küstenstreifen bildet.
In Schweden ist das Fossil nicht aus dem Anstehenden bekannt, weshalb erhielt es nach seiner Entdeckung den Gattungsnamen Xenusion, das „seltsame Kreatur” bedeutet.
Der Artname „auerswaldae” stammt von der Abtei Heiligengrabe bei Wittstock, wo der Berliner Professor für Geologie Friedrich Solger den Stein mit dem Abdruck entdeckte. Mit dem Namen ehrte er die Klosterdame und Leiterin des ehemaligen Heimatmuseums Annemarie von Auerswald, die weitere Forschungen an dem Fossil ermöglichte.
Morphologie
Bei allen bisherigen Funden handelt es sich nicht um das eigentliche Tier, sondern nur um Abdrücke eines Fossils im Gestein.
Aber dank der ersten beiden Funde („Berliner- und Halle-Exemplar”), die jeweils unterschiedliche Körperbereiche des Tieres abbildeten, ist eine Rekonstruktion des Tieres möglich, die hier kurz zusammengefasst ist:
Das Fossil Xenusion auerswaldae weist eine bilaterale Symmetrie auf und einen wurmähnlichen Körperbei mit jeweils einem wurmförmiger Rumpf auf beiden Seiten. Das Tier besaß zu beiden Seiten Stummelfüße mit nach hinten orientierten Stacheln.
Auf dem Rücken des Tieres sind paarweiße Höcker ausgebildet, die vermutlich Stacheln getragen haben. Zwischen den Höckern sind deutliche, quer verlaufende Ringe (sog. „Cutikularinge”) sichtbar, die besonders eng beieinander am rüsselartigen Vorderende liegen. Hier sind die Cutikularinge besonders gut ausgeprägt, während die Flanken im mittleren und hinteren Teil des Tieres eher strukturlos und glatt sind.
Dem Tier wird eine Gesamtlänge von etwa 20 Zentimetern zugesprochen.
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3D-Konstruktion (Poster)
Der Paläokünstler Christian M. hat von Xenusion ein schönes Poster von einer 3D-Rekonstruktion des Tieres erstellt, das es in leuchtenden Farben zeigt. Die Farbgebung ist allerdings rein fiktiver Natur.
Ein Dank an den Künstler, der das Bild kostenlos für diesen Artikel zur Verfügung stellte.
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3D-Modell
Ein dreidimensionales Modell des Tieres kann man im Hunebedcentrum (etwa „Hünegrab-Zentrum“) sich anschauen. Das niederländische Museum befindet sich im Ort Borger in der niederländischen Provinz Drenthe, etwa 18 Kilometer östlich von der Stadt Assen.
Beim folgenden Bericht „The Making of … Xenusion“ kannst du erfahren, wie das 3D-Modell erschaffen wurde (in niederländischer Sprache).
Ökologie
Xenusion auerswaldae lebte vor etwa 530 bis 521 Millionen Jahren. Der Erstbeschreiber Pompeckj vermutete aufgrund des Gestein, in dem Xenusion gefunden wurde, das es sowohl im Flachmeer als auch in Sand und Dünenzonen eines Küstenstreifen sowie im Binnengebiet abgelagert sein könnte. Es wird aber auch nicht ausgeschlossen, das es sich bei Xenusion um einen marin lebenden Bodenbewohner handelt.
Aufgrund des Fundgesteins, das dem südschwedischen Kalmarsund-Sandstein zugeordnet wird, wird der Lebensraum von Xenusion eher im flacheren Wasser bzw. Flachmeer vermutet.
Systematik
Xenusion auerswaldae ist die einzige Art der Gattung Xenusion. Zu Anfang wurde Xenusion auerswaldae von seinem Erstbeschreiber Pompeckj (1927) zu den Vorfahren von Onychophoran-ähnlichen Tieren gestellt.
Im Jahr 1989 wurde von Dzik und Krumbiegel die Klasse Xenusia erstellt, zu der Xenusion auerswalde die einzige Art ist. Durch die weitere Anzahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen und weiteren Funden aus dem Kambrium-Zeitalter, wird Xenusion im Übergangsbereich zwischen zwischen Polychaetenwürmern und Arthropoden zugeordnet.
In der Arbeit von Ma. et al. (2013) liegt ein Kladogramm vor (s.u.), das u.a. die Gattung Xenusion im Verhältnis zu anderen Gattungen aufgezeigt.
Hierbei wurden andere Fossilfunde aus den verschiedenen Fossillagerstätten kambrischen Alters zum Vergleich herangeführt. Als verwandte Formen von Xenusion werden z. B. die Fossilfunde von Hallucigenia aus dem kanadischen Burgess-Schiefers oder von Microdictyon aus der Chengjiang-Fauna betrachtet. Es handelt sich aber laut den Autoren um eine unvollständige Systematik mit einigen Schwächen.
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Vergleich mit rezenter Fauna
Vergleicht man das Fossil Xenusion mit rezenten Arten, erkennt man eine Ähnlichkeit mit der Gattung Peripatus, die zum Tierstamm der Onychophora („Stummelfüßer”).
Diese Tiere können grob als „Würmer mit Stummelbeinen” beschrieben werden. Sie leben räuberisch und einige Arten haben lebendgebärende Fortpflanzungsweise und zeigen auch ausgefallene Begattungsformen.
Hauptsächlich auf der Südhalbkugel beheimatet werden diese Tiere aufgrund ihres Aussehens als mögliche Nachfahren der Lobopoden – und damit auch von Xenusion – angesehen.
Fundorte
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Berliner Exempar / Holotypus
Das allererste Exemplar von Xenusion überhaupt wurde um 1935 in der Nähe des Dorfes Sewekow nordöstlich von Wittstock in Brandenburg gefunden. Laut Aussage des Finders wurde das Tier bei der Gartenarbeit gefunden. Der Abdruck des Tieres, das eine Länge von etwa 8,5 Zentimeter aufweist, wurde in einem Kalmarsund-Sandstein gefunden.
Das Fossil wurde vom Paläontologen Josef Felix Pompeckj erstmals beschrieben, der dem Fund den Namen „Xenusion auerswaldae” gab.
Das Fossil, das auch als Holotypus für die Art Xenusion auerswaldae gilt, befindet sich derzeit im Berliner Naturkundemuseum; es wird daher auch als „Berliner Exemplar” bezeichnet.
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Verschollenes Exemplar
Ein zweites, sehr fragmentarisches Exemplar wurde von Walter Bennhold in der Nähe von Fürstenwald gefunden und im Jahr 1950 an das Institut für Geologie und Paläontologie der Humboldt-Universität zu Berlin übergeben.
Leider ist über den Verbleib nichts weiteres bekannt. Das Fossil gilt als verschollen.
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„Hallenser Exemplar”
Der dritte Fund stammt von der Insel Hiddensee. Die glücklichen Finder waren Helga und Horst Deichfuss, die das etwa 11,5 Zentimeter langen Abdruck des Tieres im September 1978 unterhalb des Leuchtturms Dornbusch fanden.
Das Fossil, das auch als das „Hallenser Exemplar” bekannt ist, befindet sich zurzeit im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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Niederländisches Exemplar
Nicht nur in Deutschland ist Xenusion als das älteste Körperfossil bekannt, sondern auch bei unseren Nachbarn, der Niederlande, wird das Geschiebefossil sogar als das älteste Fossil der Niederlande (siehe Het oudste fossiel van Nederland – Vroege Vogels – BNNVARA) bezeichnet.
In der Nähe von Sellingerbeetse in Ost-Groningen wurde auf einem Kieshaufen das weltweit vierte Exemplar von Xenusion gefunden. Bei diesem Exemplar sind ein paar Abdrücke von Füßen zu auf dem dichten, grauen quarzitischen Sandstein zu erkennen.
Das Fundstück befindet sich in Hunebedcentrum im niederländischen Ort Borger und kann dort im Rahmen eines Museumsbesuches bewundert werden.
Wissenschaftliche Bedeutung
Aufgrund der weltweit nur wenigen vorhandenen Exemplare ist Xenusion auerswaldae ein besonders wertvolles Fossil, das uns Erkenntnisse über eine Lebewelt vor über 530 Millionen Jahren vermittelt.
Sammler und Besucher sind daher aufgefordert, bei ihrem Besuch am Strand besonders beim sedimentären Geschiebe ein Auge darauf zu werfen.
Wer weiß, wann der nächste Xenusion-Fund gemacht wird.
Vielleicht von dir?
Wappentier
Zu guter Letzt sei noch zu erwähnen, dass Xenusion bisher nur im Geschiebe gefunden wurde, nicht aber im Anstehenden. Daher ist es nicht überraschend, dass Xenusion auch als Wappentier der Gesellschaft für Geschiebekunde ist.
Quellen und lesenswerte Links:
Hier findest du einige Artikel, Links und wissenschaftliche Arbeiten über das Fossil Xenusion auerswaldae:
- Pompeckj, J. F. (1927): Ein neues Zeugnis uralten Lebens. – Palaeontologische Zeitschrift,
9: 287-314, Taf. V; Berlin - Bruno Kernchen und Albert Guthke: Finder und Fundort des Xenusion auerswaldae, Prignitz-Forschungen, Bd. 1, 1966, S. 13–17
- Het oudste en zeldzaamste fossiel van Nederland – Het Hunebed Nieuwscafé
- Der spektakuläre Fossilienfund in Sewekow – das Xenusion auerwaldae – Heimatverein Sewekow e. V.
- Ein neuer Fund von Xenusion – Günter Krumbiegel, Horst Deichfuss und Helga Deichfuss, Hallesches Jahrbuch für Geowissenschaften, Bd. 5, 1980, S. 97–99, Uni Halle, (PDF-Datei)
- Roger Schallreuter: Das zweite Xeniusion. In: Gesellschaft für Geschiebekunde (Hrsg.): Geschiebekunde aktuell. Band 2, Nr. 2. Hamburg Mai 1985. (PDF-Datei)
- Dzik, Jerzy & Kumbiegel, Günter,(2007). The oldest ‘onychophoran’ Xenusion: a link connecting phyla?. Lethaia. 22. 169 – 181 – ResearchGate
- In die Sammlung geschaut – Das Xenusion – Verein zur Förderung des Naturkundlichen Universitätsmuseums Halle (Saale)
- Oudste fossiel van Nederland naar Hunebedcentrum: 600 miljoen jaar oud – RTV Drenthe (Niederländischer Fernsehbericht)
- Xenusion – nejznámější a nejvzácnější fosilie z ledovcových souvků – Objectice Source E-Learning (OSEL)
- Xenusion – Lexikon der Biologie – www.spektrum.de
- Ma, Xiaoya & Edgecombe, Gregory & Legg, David & Hou, Xianguang. (2013). The morphology and phylogenetic position of the Cambrian lobopodian Diania cactiformis. Journal of Systematic Palaeontology. 12. – www.researchgate.net (PDF-Datei)
- Xenusion (Abguss) – Museen in Brandenburg
Abbildungen:
- Titelbild: Ghedoghedo – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=49300371
- Poster: Christian M. (Prehistorica (Christian M.) (@Prehistorica_CM) / X (twitter.com) – mit freundlicher Genehmigung des Künstlers für den Artikel zur Verfügung gestellt
- Bild von Peripatus Juanensis: Wes Gapp – https://www.inaturalist.org/photos/271682900, CC BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=132905486
- Logo der Gesellschaft für Geschiebekunde: Gesellschaft für Geschiebekunde e.V.
Kennst du Xenusion auerswaldae?
Hast du eines der wenigen Exemplare bereits im Museum (z. B. in Berlin) gesehen?
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