Durch das Radegasttal
„Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“
– Deutsches Sprichwort (Angelehnt an Goethes „Erinnerung“ )
In 2019 habe ich erst im Spätherbst meinen Jahresurlaub genommen. Ich hatte aber unheimlich viel Glück, denn das Wetter war in der Zeit durchweg sehr sonnig und warm und ich konnte so ein paar schöne Spaziergänge und Wandertouren machen.
Einer meiner kleineren Wandertouren führte mich nach Nordwestmecklenburg; eines der sechs Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern.
Urlaubsanfang
Ich sitze in der ODEG auf der Zugstrecke Schwerin-Rehna. Der Ausgangspunkt dieser Herbstwanderung ist die kleine Gemeinde Holdorf, die am Fluss „Radegast“ liegt, zwischen den Kleinstädten Gadebusch und Rehna.
Mit der Privatbahn ODEG komme ich am winzigen Bahnhof Holdorf an. Immerhin hier ist ein Bahnhof.
Während mich dieser Punkt überrascht, überrascht es mich weniger, das ich die Einzige bin, die hier aussteigt. Wir haben Wochenanfang und ich bin vermutlich zu dem frühen Zeitpunkt, die einzige, die nicht zur Arbeit fahren muss; denn meine erste Urlaubswoche hat ab heute angefangen. Jippieh!
Das Radegasttal
Im Süden verlasse ich den Bahnsteig, gehe nach links über die Gleise und schon werde ich von dem Schild „Naturschutzgebiet“ begrüßt. Hier fängt das Naturschutzgebiet „Radegasttal“ an.
Dieses Schutzgebiet umfasst etwas 300 Hektar und erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung als oft unter 100 Meter breites Band von Gadebusch über Rehna bis zum Ort Börzow.
Ziel dieses Schutzgebietes ist der Erhalt des Flusslaufs der Radegast vom Neddersee bei Gadebusch bis zur Mündung in die Stepenitz bei Börzow. Dazu gehört auch der Erhalt der Radegast mit seindem stark mäandrierenden und naturnahen Verlauf und die angrenzenden Grünlandbereiche, Röhrichte, Gehölze und Bruchwäldern.
Erster Eindruck
Ein kleiner Feldweg geht von der Hauptstraße an, die Richtung Holdorf führt. Hier finde ich eine große Tafel vor, doch was darauf steht ist enttäuschend. Ich sehe nämlich nichts.
Die Tafel ist nahezu komplett ausgeblichen. Nur wenige Zeichen und Buchstaben lassen sich auf der Tafel erkennen. Es sollte ursprünglich eine Karte dieser Gegend sein um auf sehenswerte Bodendenkmale aufmerksam zu machen, doch zur Orientierung ist diese völlig nutzlos. Wie Schade. Zu allem Überfluss hat sich auch noch jemand an der Tafel mit einer Schmiererei verewigt.
Ein wenig Botanik an der Radegast
Ich folge den schmalen Pfad, der links von Radegast nach Süden führt. Leise plätschert dieses Flüsschen vor sich hin. Die Sonne scheint und taucht das ganze Szenario in eine Traumwelt.
Der Herbst ist hier noch nicht angekommen. Vieles ist noch grün. Ich komme an einer Reihe von Rotbuchen (Fagus sylvatica) vorbei, die in dem Moment von der Sonne in ein traumhaftes Licht getaucht sind.
Nach wenigen hundert Metern führt mich der Weg von der Radegast weg in einem Mischwald hinein. Hochgewachsene Nadelbäume und verschiedene Laubbäume kann ich hier erblicken. Der Wald strahlt etwas uriges aus. Verstärkt wird dieser Eindruck, als ich an einer Gabelung komme und links von mir eine Reihe von alten knorrigen Eichen bestaunen kann.
Sie scheinen hier ein Seltenheitswert zu haben, denn an deren Stämmen entdecke ich sofort ein kleines Gelbes Schild mit einer schwarzen Eule und der Aufschrift „Naturdenkmal“.
Am Wegesrand entdecke ich ein paar wenige Büsche des Gewöhnlichen Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus). Die Namensherkunft ist sofort erkennbar. Sehen doch die wenigen Zentimeter großen Kapselfrüchte wie kleine rote Hüte eines Pfarrers („Pfaffe“) aus.
Zwar haben wir Herbst, doch beim Pfaffenhüttchen hat die Blattfärbung noch nicht stattgefunden. Neben den auffälligen Fruchtkapseln und den leuchtend orangefarbenen Früchten variiert die Blattfärbung von einem leuchtenden gelb bis rot.
Das Gewöhnliche Pfaffenhütchen wird auch als „Gewöhnlicher Spindelstrauch“ bezeichnet, denn früher hat man aus seinem Holz neben Orgelpfeiffen und Stricknadeln auch Spindeln hergestellt.
Schildersuche und Schilderfund
Eigentlich würde mein Weg weiter nach Süden, also geradeaus gehen, doch ich biege nach links ab. Bestaune dabei die knorrigen Eichen am Wegesrand. Der Abstecher hat seinen Grund, denn nicht weit von hier liegt ein Steingrab, das ich besichtigen möchte. Doch das stellt sich als Problem dar, wo geht es genau zum Grab? Eine Beschilderung sehe ich nicht.
Aaah, ein Schild! Aber nein, nicht zum Hügelgrab, sondern ein Hinweis, das sich hier eine Mittelalterliche Landwehr befindet. Zugegeben, ohne den Hinweisschild würde mir die Landwehr überhaupt nicht auffallen.
Meine Kenntnisse in Archäologie halten sich doch recht in Grenzen. Doch dank des Hinweises kann hier die Landwehr etwas erahnen. Sie führt – laut Schild – hier parallel zum Waldweg.
Landwehre sind Grenzmarkierungen. Sie dienen auch als Siedlungsschutzanlagen und wurde in der Zeit des Hoch- und Spätmittelalter (1050 bis 1250 n. Chr. bzw 1240 bis 1500 n. Chr.) zugesprochen. Einige besitzen sogar eine Länge von über 100 Kilometern. Diese hier liegt aber nur in mehreren Zehnerbereich.
Das Grosssteingrab von Neu Benzin
Ich blicke nochmal auf mein Smartphone und studiere die abgebildete Karte, die ich geladen habe. Hier in der Nähe soll sich eigentlich ein Pfad befinden, der mich zum Steingrab führt.
Laut Karte muß ich wieder zurückkehren und dann einen Pfad, der in Wald hineinführt folgen. Nun gut, ich mache kehrt und gehe zu den knorrigen Eichen im Wald zurück. Schließlich finde ich am Boden ein Schild, das zum „Großsteingrab“ führt.
Es geht scheinbar quer durch den Wald, nur ansatzweise ist ein Weg zu erkennen. Da findet ich auf einmal ein Schild auf dem Waldboden liegen, lieder ohne jegliche Beschriftung. Und siehe da, das Steingrab habe ich auch gefunden beziehungswiese was davon übrig ist.
Hier habe ich es mit einem jungsteinzeitlichen Großgrab zu tun, wobei es an den drei Steinen nicht gut zu erkennen ist. Für den Ahnungslosen sieht es im Moment auf, wie mehrere Felsen, die zufälligerweise eng beinanderliegen. Ich blicke mich etwas um. Es scheint sich wohl hier keiner mehr über diese Großsteingräber zu kümmern. Das finde ich sehr schade, denn dieses Grab lässt sich wunderbar erreichen.
Bei meiner Recherche für diesen Artikel fand ich heraus, das sich um das Steingrab auch ein einfache hölzerne Absperrung befand; doch diese konnte ich bei meinem Besuch nicht entdecken. Schade, das diese archäologische Stätte so langsam vor sich hin verfällt.
Etwas wehmütig verlasse ich die Stätte und setze meinen Weg in Richtung Süden fort.
Waldentdeckungen
Durch einen Wald wandern im Sonnenlicht gehört zu meinen liebsten Beschäftigungen draußen in der Natur. Während ich dem kleinen Waldweg folge, der mehr oder weniger dem Verlauf der Radegast folgt, blicke ich mich etwas um.
Sehe verschiedene Laubbäume, wobei mir immer wieder knorrige Eichen ins Auge fallen. Aber auch interessante Wachstumsformen, wo sich Laub- und Nadelbaum sich scheinbar näher kommen, finde ich hier. Es wirkt noch alles hier recht natürlich.
Zwei Bänke, leider nicht mehr zum Sitzen geeignet, finde ich an einem breiten breiten Uferstelle der Radegast vor. Hier halte ich kurz inne und lausche dem Wasser.
Die Radegast ist ein linker Nebenfluss der Stepenitz. Sie entspringt in Mecklenburg-Vorpommern im Landkreis Nordwestmecklenburg, etwas südlich von Gadebusch in einem Feldgehölz.
Bei der Radegastquelle handelt es sich um eine Kalktuff-Quelle. Das kalkreiche und klare Gewässer ist durch einen hohen Sauerstoffgehalt und durch Ausfällung von Kalktuff (Name!) charakterisiert.
Die Großsteingräber von Klein Hundorf
Dem Weg weiter nach Süden folgend stoße ich gleich auf zwei Hinweisschildern. Zu einem ist es wieder das gelbe Schild mit der Eule – also betrete ich hier wieder ein Naturschutzgebiet (wobei ich der Meinung nach, es nicht verlasssn zu haben) als auch ein fünf eckiges Schild, das Auch hier war auf dem Schild leider gar nicht mehr zu erkennen um was für eine Art Steingräber es sich handelt.
Erst durch Nachrecherche habe ich hier erfahren, das es sich hier um Großsteingräber der jungsteinzeitlichen Trichterbecherkultur (ca. 4200 v. Chr. – 2800 v. Chr.).
Das erste Grab besteht nur noch aus einem Wandstein, der zwischen zwei Bäumen liegt. Weitere Steine von dieser Grabstätte findet man nur in unmittelbarer Nähe.
Nicht weit von diesem Grab befindet sich ein weiteres Grab, das anhand von parallel liegenden Steinen zu erkennen ist.
Das dritte und letzte Grab ist das, was am besten erhalten ist. Hier sind drei Wandsteine und sogar der Deckenstein erhalten geblieben.
Hier wurden auch bei archäologischen Grabungen u.a. Keramikscherben gefunden. Die Funde befinden sich im Archäologischen Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.
Auf dem Weg zum Neddersee
Nach dem Rundgang um die drei Gräber führt mein Weg weiter durch den Wald. Ich überquere dabei einen Bahnübergang von der Strecke Schwerin-Rhena und nicht unweit davon muß ich eine Brücke über die Radegast.
Ein breiter Feldweg führt mich aus dem Wald hinaus auf einen Feldweg. Hier kann ich gut auf die eiszeitliche geprägte typische mecklenburgische Landschaft blicken. Diese Landschaftsform, die durch das Eis der Gletscher geformt wurde, wird auch als „Jungmoränenlandschaft“ bezeichnet.
Ich gehe an einer Pferdekoppel vorbei, wo mich auch spontan einige Pferde neugierig am Zaun begrüßen. Sie folgen mir sogar ein Stück des Weges.
Der Neddersee
Auf dem Feldweg folge ich einer Abzweigung, die mich zu einer Art „Eingang“ führt. Hier weist ein Schild auf den Neddersee – 25 Hektar große und bis zu 2,5 Meter tiefer See, der sich nördlich von der Gemeinde Gadebusch befindet. Mein Ziel ist also nicht mehr fern.
Es geht eine Anhöhe hinauf und schon kann man auf den Neddersee blicken. Doch es ist hier dicht bewachsen, das ich einen Pfad zum Ufer nicht erkennen kann. Aber mir reicht auch der Blick zum See. Umrahmt wird dieser Anblick von Äpfelbäume, die sehr viele Äpfel tragen.
An der B104 entlang
Ich verlasse die Anhöhe. Auf einem Feld und über die B104 habe ich das Radegasttal hinter mich gelassen. Ich gehe nun auf einen Fahrradweg, der parallel zur B104 liegt. Auf den ersten Blick scheint dies ein guter ausgebauter Radweg zu sein. Bis zum Horizont verläuft er geradeaus und relativ eben.
Wer weiss, vielleicht fahre ich hier auch einmal mit dem Rad entlang. Der erste Eindruck ist jedenfalls sehr positiv.
Auch Landschaftlich sieht es hier typisch nach Mecklenburg aus. Am Wegesrand entdecke ich einige Pferde und Ponies, die in der Nähe eines Sölls grasen.
Sölle gehören ebenfalls zu den typisch Landschafterscheinungen in Mecklenburg. Sie entstanden aus zurückgebliebenes Gletschereis („Toteis“), das eine Vertiefung bildete und anschließend von Geröll und Sedimente zugeschüttet wurde, wo sich darauf Wasser sammelte. Doch nicht jeder Soll beinhaltet Wasser, sondern kann auch einfach eine Vertiefung sein, die dicht von Bäumen und Büschen bewachsen ist. Auch der Durchmesser dieser „Löcher“ kann von wenigen Metern bis in den Zehnermeterbereich liegen.
Nach etwas einem 1 km komme ich an der Kreuzung an, wo ich meinen Weg nach links einschlage. Hier geht es auf einen Fußweg an der B208 entlang in Richtung Gadebusch, meinen Zielort habe ich erreicht aber ein letztes Highlight wartet auf mich.
Honeckers Schlafwagen
Ich muß einmal quer durch Gadebusch gehen um den Bahnhof zu erreichen. Dort angekommen springt förmlich sofort ein einzelner Waggon ins Auge, der aus anderer Zeit entstammt.
Es handelt sich um einen restaurierten Salonschlafwagen aus der DDR-Zeit, wo auch der einstige DDR-Staatschef Erich Honecker damit gereist und genächtigt hat.
Der Waggon ist heute eine Herberge und Übernachtungen können dort gebucht werden. Nicht umsonst wird dieser Schlafwaggon auch als „Honi-Herberge“ bezeichnet. Allerdings gibt es – der DDR-Zeit entprechend – im Schlafwagen kein Internet und kein Fernseher.
In einem Schlafwaggon zu übernachten finde ich spannend. Doch bin ich froh, dass ich nicht lang auf den Zug warten muß, der mich wieder nach Hause bringt. Vielleicht irgendwann mal eine Nacht im Schlaffwaggon verbringen, doch für heuteAbend ziehe ich mein Bett erstmal vor.
Mein Fazit
Diese Wanderstrecke scheint mit seinen (archäologischen) Highlights etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Wenn Schilder mit ihren Pfosten auf der Erde liegen, teilweise zerstört oder die Beschriftung ausgeblichen und dadurch unleserlich geworden ist, zeigt es mir, dass seit längerer Zeit hier keiner nach dem Rechten sah.
Sehr schade, denn der Wanderweg durch das Radegasttal ist gut begehbar. Die Streckenführung ist auch – trotz weniger Schilder – gut ersichtlich und einige Rastmöglichkeiten (Schutzhütten und Bänke) werden auf dem Weg angeboten.
Neben den archäologischen Highlights, kommt der Naturfreund beim Wandern durch das Naturschutzgebiet Radegasttal mit seinem Fluss und seiner Landschaft nicht zu kurz. Neben urigen Eichen, die als Naturdenkmäler ausgewiesen sind, können Tiere wie Eisvögel an der Radegast oder Rohrweihen am Neddersee beobachtet werden.
Zuletzt wäre noch ein großes Plus zu erwähnen: die Anbindung mit dem ÖPNV, die sehr gut ist und wie nah das Radegasttal zu beiden Ausgangspunkten (Holdorf und Gadebusch) liegt. Wer braucht da ein Auto?!
Es bleibt zu hoffen, das sich jemand der Wanderstrecke zwischen Holdorf und Gadebusch annimmt und es zu einem kleinen Highlight für Natur- und Archäologie-Fans macht. Ich bin zwar eher ein Natur- als ein Archäologie-Blogger, doch warum sollte man nicht Natur mit Kultur verbinden können? Für diese Strecke wäre das Potential da.
Streckbrief – Wanderung durch das Radegasttal
Karte
Wegbeschaffung
- Wald- und Feldweg, Fahrradweg an der B104 ist asphaltiert
Anfahrt
- Mit dem Regionalzug (ODEG) nach Holdorf fahren
Einkehrmöglichkeit
- Keine auf der Strecke, nur am Zielort Gadebusch möglich
Quellen und lesenswerte Links
Wer sich näher mit dem Radegasttal beschäftigen möchte, sollte auf die folgenden Links klicken:
- Informationen und Buchung des Schlafwagen von Erich Honecker
- Allgemeine Informationen über das Radegasttal – Stiftung Naturschutz MV
Warst du schon einmal im Radegasttal? Auf welcher Wanderung hast du archäologische Highlights erlebt? Warst du schon einmal auf einem Wanderweg, der in Vergessenheit geraten ist?
Kommentiere hier oder schreibe mir eine Email.